Hauptbeiträge

Projekteingabe (2009)

  Urheber: Anonymus

  Entsorgte Arbeit: Projektstuhl

  Abbildung: vgl. Beilage

 

 

Beschreibung:

Auf diesem Stuhl wurden die ersten Projekte des Prophylaktischen Realismus entworfen, insbesondere „Rauminstallation im Hochhaus Römisch-Eins“ und „Ebendaselbstige Installation Römisch-Zwei“. Wie bekannt, ist in Paragraf 13a der Prophylaktisch-Realistischen Selbstdeklaration ausdrücklich festgehalten, daß nach Beendigung eines Projektes – erfolgreich oder nicht – sämtliche daran beteiligten Realien (also auch die Künstlerinnen und Künstler mitsamt deren Sitz-, Steh-, Schreib- und Denkeinrichtungen) wieder ihrer alltäglichen Bestimmung, nämlich der ganz normalen daseinsverpflichteten Zuhandenheit, zugeführt werden sollen: „ars brevis, vita longa“. Das beinhaltet auch (siehe Zusatzparagraf 13b), daß besagte Realien am Ende dieser ihrer Bestimmung (z. B. bei zunehmender funktionaler Unbrauchbarkeit, ästhetischer Unzumutbarkeit, allmählichem Zerfall oder plötzlichem Hinscheiden) auf ganz natürlichem Wege zu entsorgen sind. Entsprechend Ergänzungsparagraf 13c ist es allerdings in Ausnahmefällen erlaubt, den an sich wenig erfreulichen Akt der Entsorgung im Rahmen einer gewissen Feierlichkeit zu vollziehen und damit den betroffenen Realien im Augenblick ihres Ablebens einen Hauch der einstmaligen künstlerischen Aura zurückzugeben.

Gesagtes vorausgesetzt, kann ich nicht umhin, die hiesige weihnachtliche Entsorgungsaktion der Regionale 10 für einen außerordentlichen Glücksfall zu erachten. Es ist die einmalige Gelegenheit, meinen ausgedienten Sitz- und Denkstuhl, Basis all meiner prophylaktisch-realistischen Projekte, in würdevoller Weise zu verabschieden.

Abbildung: Projektstuhl (lädiert) auf Hochbalkon vor Stadthintergrund

 

 


Aus dem Prophylaktisch-realistischen Manifest

Kunst ist der Tod der Kunst. Das ist Tatsache und Aufgabe. Nur die Kunst, die in ihren eigenen Auflösungsprozess einwilligt, kann sich selbst überleben.

Welchen Tod soll die Kunst wählen? Was macht sie, wenn ein Schicksalsschlag sie unvorbereitet , noch inmitten ihrer eigenen Kunstausübung niederstreckt? So daß sie, einer Niobe gleich, in der Schwere ihres Getroffenseins, Vom-Kopf-zum-Fuß-Gespaltenseins, auf ewig erstarrt? Keine Hand, die ihre Augenlider zudrückt. Knochenbrechen und Schreddern. Nicht begraben. Kunstwerke wollen nicht begraben sein. Die meisten von ihnen leiden unter Erstickungsangst und Wurmphobie. Sie üben schon zu Kunstzeiten, den Atem anzuhalten und den Würmern ins Auge zu blicken. Ein Bild zum Beispiel in den wunderbarsten Farben hat Tag und Nacht geschrieen, und niemand hat es gehört. Nach Jahrzehnten hat man es ausgegraben: ein Bild des Jammers, erstickt und zerfressen. Würmer kennen kein Pardon. Kunst bedeutet ihnen nichts, rein gar nichts. Fressen sich durch die schönste Leinwand durch.

Verbrennen wäre besser. Es bleiben nur die Metalle übrig, die aus der Asche geholt werden können.

So dramatisch steht es um die Kunst. Also müssen wir einen Schritt zurücktreten und uns überlegen: Wollen wir das der Kunst antun? Dürfen wir sie einfach ihrem Schicksal überlassen? Sind wir nicht Menschen, empathisch und verantwortungsvoll? Gibt es Rechte, gibt es Menschenrechte für die Kunstwerke? Zwingende und andere? Und wenn ja, können diese in allen Ländern der Welt eingefordert werden? Auch von den Besserwissern und Falschgläubigen? Wenn aber nein, was dann? Stürzen wir dann in die Abgründe der Ratlosigkeit? Keine Hoffnung für die Kunst, werden all jene orakeln, die den Abgrund fürchten.

Andere, wie wir, glauben an die Prophylaxe. Also vorbeugen. Vorbeugen ist besser als Heilen. Langsam langsam vorbeugen und nie den Kopf vornüberkippen lassen. Auch das ist Kunst.


Beschwerdebrief (13.12.2009)

  Ausstellungsraum Klingental

  Regionale 10 – Entsorgung

  z. Hd. der Projektverantwortlichen

 

 

 

Einsprache an das Entsorgungskomité der Regionale 10

Sehr geehrtes Gremium

Zu unserem tiefen Bedauern mussten wir vernehmen, dass Sie unserem Projektstuhl die Teil­nahme an der weihnachtlichen Entsorgungsaktion vorenthalten haben. Und dies, obwohl Ergänzungsparagraf 13c der Prophylaktisch-Realistischen Selbstdeklaration allen ausge­dienten Kunstrealien das Recht einer feierlichen Entsorgung ausdrücklich einräumt. (Auf letzteres haben wir übrigens in der eingereichten Projektbeschreibung deutlich hingewiesen).

Wie wir weiter erfahren haben, wurde dem Stuhl aber nicht nur die Teilnahme an der allgemeinen Entsorgungszeremonie verweigert, sondern er wurde gar zum Opfer einer diskriminierenden und letztlich kunstfeindlichen Handlungsweise: indem er nämlich nicht nur vor die Tür, sondern buchstäblich in den Regen gestellt wurde. Ausserdem sind unsere sorgfältig ausgeführten, auf Papier und CD mitgelieferten und durch ein kunstgerechtes Foto bebilderten Statements – entgegen den in Ihrer Projektankündigung mitgeteilten Regeln – nicht im Ausstellungsraum aufgehängt worden.

Im Namen der allgemeinen Menschenrechte, der hiesigen Staats- und Bürgerpflichten sowie sämtlicher regionalen und überregionalen Kunstprivilegien bitten wir Sie, auf Ihre Entscheidung zurückzukommen, vielmehr diese rückgängig zu machen und unserem Denk- und Sitzstuhl die ihm gebührende humane Entsorgung im Verein der übrigen Kunstobjekte zu gewähren.

Wir bauen sehr auf Ihre gef. Einsicht und freuen uns auf die baldigste Wiedereingliederung unseres Objektes in die feierliche Gesamtaktion. Anderenfalls würden wir uns gezwungen sehen, weitergehende Schritte zur Durchsetzung unseres berechtigen Anliegens zu erwägen.

Mit den besten Grüssen

Kompetenzzentrum für
Prophylaktischen Realismus

Ihr …

 

 Beilagen:

–  Kopie der eingereichten Entsorgungsbegründung

–  Bildnis des zu entsorgenden Objekts